Eine Hamburger Legende
Christian Warlich und Kollegen, Tätowierer und Legenden, unterwegs auf dem Kiez, im Museum für Hamburgische Geschichte und der Welt. Eine Ausstellung über ein Hamburger Original, seine Tattoos und über ein bemerkenswertes Forschungsprojekt. Noch bis Ende Mai 2020 im Museum für Hamburgische Geschichte zu sehen.

Ein Tattoo geht unter die Haut
Sorry, für diesen offensichtlichen Claim, aber er musste sein! Seitdem ich mir selbst ein Tattoo im vergangenen Sommer habe stechen lassen, wächst mein Interesse an dem Thema. Was für ein Zufall, dass das Museum für Hamburgische Geschichte diese Ausstellung zeigt. Mein Tattoo ist übrigens eine Abwandlung dieses schönen Musters:

V&A Museum no. T.586-1919
Daher also mein Wunsch diese Ausstellung zu sehen. Warum geht man eigentlich in eine Ausstellung? Meist sind es Themen, die einenselbst bewegen, zu denen man einen Bezug hat. Ich glaube, wenn ich kein Tattoo hätte, wäre ich nicht in das Museum für Hamburgische Geschichte gegangen. Zumindest nicht zu diesem Thema. Wer mich noch nicht kennt, kann das hier nachholen.
Endlich mal wieder ins Museum
Anfang des neuen Jahres hab ich mich auf den Weg ins Museum gemacht und fand mich erst mal in einem sehr großen und menschenleeren Ausstellungsraum wieder.

© Miriam Schmidt
Ausstellungsüberblick
Es beginnt schon im Vorraum der eigentlichen Raumes. Es werden verschiedene Motive Warlichs an der Wand gezeigt und was mich sehr überrascht hat: ein altes, hölzernes Schaukelpferd, bemalt mit Tattoo-Motiven Warlichs.

© Miriam Schmidt
Um aber einen groben Überlick zu haben worum es geht, hier einmal in aller Kürze die Themenbereiche:
- Die Vorgänger und die Vorbilder von Warlich
- Warlichs Leben, sein Schaffen und seine Zeitgenossen
- Warlichs Erbe und seine Nachfolger
Ich weiß… liest sich im ersten Moment nicht so spannend. Diese drei Bereiche werden allerdings räumlich durch Großprojektionen (findet ihr unter anderem in den Highlights auf Insta) miteinander verbunden. Diese Großprojektionen haben es aber in sich. Man kann sich entspannt davor setzen und einfach in einem Moment der Ruhe die Bilder auf sich wirken lassen.

Insagesamt gliedert sich die Ausstellung allerdings in 13 Sektionen.
Jede einzelne wirklich interessant und anschaulich dargestellt.
- Seit wann gibt es Tattoos in Hamburg?
- Warlichs frühe Jahre
- Christian Warlich auf St. Pauli
- Der „König der Tätowierer“
- Internationaler Austausch
- Eine geheimnisumwobene Tinktur
- Technik
- Hamburger Tätowierer
- Der Nachlass Warlichs
- Die öffentliche Wahrnehmung Warlichs
- Warlich heute
- Streckenbach, Kohrs, Ulrichs – Aufbruch in eine neue Ära
- Vereinigungen
Aber von Anfang an…
Um sich erstmal einen Überblick zu verschaffen, hat das Ausstellungsteam auf einer sehr anschaulichen Karte des Kiezes aufgezeigt, wo es überall Hinweise auf Tattoo-Kunst oder Tättowierer gab.

© Miriam Schmidt
Der erste Fakt, der mich nicht unbedingt überrascht, aber doch kurz aufhorchen ließ, war, dass Tätowierer in der Regel Wanderarbeiter waren. Man tättowierte seine Kunden in Kneipen, an Hausecken oder in Bordellen. Es gab eigentlich keine festen Ladengeschäfte.
Warlich war der erste Tätowierer Hamburgs mit einer festen Adresse – und einem Schaufenster.

Der Kiez, St. Pauli, die Tattoos
Jeder, der nach Hamburg kommt sollte einmal auf dem Kiez gewesen sein. Das steht bestimmt in jedem Reiseführer zu unserer Hansestadt. Allerdings war diese Seite mir noch relativ fremd. Als Tor zur Welt beschreibt man Hamburg immer wieder, aber als das Ausgangspunkt der deutschen Tattoo-Kultur?!
Als Zentrum der Unterhaltunskultur in Hamburg konnte man in St. Pauli jeden treffen. Vor allem aber natürlich internationale Seefahrer, die auf der Suche nach neuen Motiven für ihre Haut waren. Dadurch florierte bald die Tätowier-Szene in der Hafenstadt.

Christian Warlich kannte seine Zielgruppe und wusste wo sie zu finden war. Er ließ Gaschäftskarten drucken und sie von Jungens direkt am Hafen verteilen, wo die Seeleute an Land gingen. Natürlich gab es auch was Gutes zu trinken bei ihm. Aber betrunken wurden die Kunden bei ihm nie tätowiert. Der selbsternannte „König der Tätowierer“ wollte schließlich zufriedene Kunden sehen. Beratung inklusive.

Warlichs internationaler Einfluss
Wieder was gelernt: Warlich war nicht nur Tätowierer und Gastwirt. Er hielt Kontakt zu Wissenschaftlern in der ganzen Welt, um auch medizinisch auf dem Laufenden zu bleiben. Er wusste, wie die Haut aufgebaut ist; welche Substanzen nützlich bei der Ausübung seines Berufes sein konnten.
Was mich allerdings wirklich überraschte war, dass er nicht nur Tattoos anfertigte, sondern sie auch wieder entfernen konnte. Heutzutage ist es aufwendig und es bleiben Narben zurück. Oder man überarbeitet das alte Tattoo mit einem neuen.

Warlich erfand eine Tinktur, die auf die Haut aufgetragen wurde. Sie trat in die erste Hautschicht ein und löste sie. Somit konnte man den Teil der Haut, wo sich das unerwünscht Bild befand, einfach abtrennen. Ohne Schmerzen war das allerdings nicht zu machen. Seine Methode galt als fortschrittlich, da damals eine Tattoo-Entfernung bis dato nur mit einer Operation einherging. Die Ausstellung widmet diesem Thema einen eigenen Bereich, der sicherlich vielen zu eklig ist, aber widerrum bei anderen Faszination auslöst.
Inspiration und Austausch
Nicht nur mit Wissenschaftlern stand er in regem Austausch. Er ließ sich von anderen Tätowierern inspirieren. Darunter der New Yorker Charlie Wagner oder der Kopenhagener „Tattoo Ole“ Hansen. Außerdem vertrieb er in seinem Ladengeschäft Tätowiermaterial und baute unter anderem seine eigenen Tätowiermaschinen.
Es gibt so viel zu entdecken
Die Ausstellung ist wirklich komplex. Eine der wenigen Ausstellungen in der ich mich über eine Stunde aufgehalten habe. Ich bin ein relativ ungeduldiger Mensch. Für mich muss alles selbsterklärend und einfach sein, damit ich nicht die Lust verliere mich damit zu beschäftigen. Tatsächlich ging die Zeit wie im Flug vorbei und ich habe nicht gemerkt wie lange ich tatsächlich dort verbrachte. Diesen Spaß möchte ich keinem Besucher nehmen. Ich werde nicht alle Bereiche der Ausstellung besprechen.
Partizipativ ist die Ausstellung auch noch
Neben der mittlerweile schon klassischen Wand, an der man Haftnotizen anbringen kann, kann man sich in der Warlich-Ausstellung selber tätowieren! Ja, richtig gelesen! Ein tolle Aktion für Kinder, aber auch für Erwachsene:
Tattoo-Station mit einer Wand zum Austausch
© Miriam SchmidtDu bist tätowiert, weil… Du bist nicht tätowiert, weil…
© Miriam SchmidtAuf meine Hand wird ein Motiv projiziert, das ich mit einem Filstift nachmalen kann.
© Miriam Schmidt
Diese Haftnotizen
Schon oft gesehen, aber immer wieder interessant. Hier wird gefragt, ob man tätowiert ist und warum oder eben warum nicht. Sehr interessante Dinge stehen dort an der Wand.
Ich bin nicht tätowiert: „…weil ich die Attraktion im Altenheim sein möchte: einizige untätowierte Oma der Welt.“
Oder:
Ich bin tätowiert: „…weil es Geschichten des Lebens erzählt…“
Teilweise sind sehr persönlich Gründe angegeben. Ich finde die Möglichkeit sich mit der Gesellschaft in Austausch zu begeben sehr schön. Aber immernoch fehlt es mir an der Nachhaltigkeit bei dieser Idee. Wie werden diese Kommentare der Gesellschaft archiviert, wieder zugänglich gemacht oder schlicht genutzt in einem späteren Projekt? Fragen, auf die ich selbst keine Antwort parat habe…
Fazit
Wie man vielleicht schon gemerkt hat bin ich sehr angetan von der Ausstellung. Viele interessante Fakten können noch bis zum 25. Mai 2020 hier entdeckt werden – ich hab definitiv nicht alles beschrieben. Viele Kapitel lasse ich hier aus: das Forschungsprojekt, das immer noch läuft, die Tattoo-Gemeinde, die offensichtlich sehr groß in Hamburg ist und viele kleine Bildchen, die man einfach nicht so schön fotografieren kann. Es lohnt sich also den Weg ins Museum der Hamburgischen Geschichte zu machen, die Tattoos anzusehen und die Geschichte dahinter zu entdecken.
Vorlagenblätter Warlichs Plakat zur Warlich Woche, 1996, privat William Robinson, Hamburg Zeitungsartikel über Christian Warlichs Kunden Peter Neumann, Die Zeit, 20. April 2017, privat, Ole Wittmann, Henstedt-Ulzburg. Doppelseite aus dem Vorlagealbum von Christian Warlich, Zeichnungen um 1934, Museum für Hamburgische Geschichte, Foto: Christoph Irrgang Warlich-Flash-Blatt, 1930er Jahre, Privatammlung, William Robinson, Hamburg
Harte Fakten
Informiert euch über Öffnungszeiten und Preise, die Anreise und alles andere. Vielleicht stoßt ihr ja auf den Seiten der Stiftung noch auf andere interessante Ausstellungen. Ansonsten schreibt mir gerne eine Mail, vielleicht gehen wir mal zusammen Geschichte entdecken!